Montag, 19. Oktober 2009

Anklage des eigenen Herzens (bei seelsorgerisch Tätigen)







Gut 21 Jahre nach dem mein Vater durch seinen Tod ging, entdecke ich
mir bis dahin unbekanntes aus seinem Leben.

Für eine Ansprache an seine Seelsorgerkollegen schrieb er (etwa Mitte/Ende der 1970er Jahre) ein Konzept das mir vor ein paar Tagen in die Hände fiel und mich sehr berührte:



"Im 3. Kapitel des 1. Johannesbriefes, in den Versen 18-21 steht zu lesen: " Lasset uns nicht Lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit!
Daran erkennen wir, daß wir aus der Wahrheit sind, und können unser Herz vor Ihm damit stillen, daß, wenn uns unser Herz verdammt, Gott größer ist als unser Herz.
Ihr Lieben, wenn uns unser Herz nicht verdammt, so haben wir Zuversicht zu Gott, und was wir bitten, werden wir von ihm nehmen. " Amen.

Liebe Schwestern und Brüder! "Wenn uns unser Herz verdammt." - das ist ein schlimmer Zustand.
Werden wir von einem anderen angeklagt, werden Vorwürfe gemacht, so ist das auch nicht gerade angenehm. Besonders wenn er im Recht ist. Aber damit werden wir, je nach dem Grad unserer Empfindlichkeit, mehr oder weniger schnell fertig. Da kann man sich verteidigen, kann erklären und entlastende Argumente bringen. Damit können wir umgehen und die Sache zieht vorbei, wie eine Regenwolke im Sommer.

Das alles ist aber viel schwieriger, wenn es unser eigenes Herz ist, das uns verklagt oder gar verdammt. Das geht nicht immer so schnell vorbei. Aus dieser dunklen Wolke entwickelt sich gern eine ausführliche, triste Regenzeit.

Was geht da in uns vor? Unser Herz verklagt und verurteilt uns. Wir können es auch "Gewissen" nennen, am Ausdruck liegt nicht viel. Wesentlich ist, daß wir uns dabei selbst gegenüber stehen, uns beobachten und beurteilen.

Für den Verfasser dieses Briefes ist das für den Christen ein normaler Zustand. Ein Zustand, den er für gefährlich hielt, sofern einer darin stecken bleibt.

Es sind also zwei Stimmen in uns. Die eine klagt an, die andere verteidigt. Wir sind dabei innerlich wie zerspalten.
Eine Stimme in uns sagt: Mit dir ist nicht viel los. Deine Schwächen schießen ins Kraut. Deine Liebe meint mehr dich selbst und weniger die anderen. Dein Einsatz ist dementsprechend dürftig.
Und wenn die andere Stimme uns verteidigt und einen Punkt der Anklage entkräftet, dann hat die erste Stimme gleich den nächsten Punkt bereit; vergleicht uns etwa mit Kollegen, die ganz andere Dinge schaffen.

Das kann so lange weitergehen, bis die erste Stimme, die uns verdammt, die Oberhand gewinnt. dann heißt es: Du hast restlos versagt! Du bist nichts wert! Und dann ist die Freude im Eimer. Traurigkeit und Niedergeschlagenheit beherrschen das Feld. Wir werden immer mutloser, denn nichts läuft mehr richtig. Immer schwieriger wird es mit den Kontakten mit anderen - die Isolation wächst.

Ist diese Situation uns wirklich fremd?

Ich wage die Vermutung, daß Menschen unseres Standes, betraut mit Aufgaben an Kranken und alten Menschen, für den Sieg der Anklage des eigenen Herzens recht anfällig sind.
Das hat mit Sicherheit mehrere Gründe.
Nur zwei seien angedeutet:
Das liegt wohl einmal an der Struktur unserer Arbeit - an der dauernden Überforderung durch eine viel zu große Anzahl von zu betreuenden Menschen.
Das liegt zum anderen an unserem Kirchen- und theologiegeschichtlichem Herkommen. Das Mittelalter hat auch etwas von Freude und Liebe gewußt. Aber die zitternde Furcht überwog. Die große Angst vor der ewigen Verdammnis war ständig präsent. Damals entstand das Buß-Sakrament. Bußpredigten und Selbstkasteiungen gab es die Menge. Und den Ablaß. Schwere dunkle Wolken lagen über der Christenheit des Abendlandes.
Die Reformation ist nur zu verstehen als Protestbewegung gegen diese Verkehrung der frohen christlichen Botschaft und Grundhaltung.

Es ist zu fragen wie weit die Reformation sich mit ihrem guten Anliegen in uns hat durchsetzen können. Allerdings auch danach, wo sie über ihr Ziel hinausgeschossen ist.

Liebe Schwestern und Brüder
Die meisten von uns, wohl alle, sind zu unserer Tagung gekommen um zu lernen. Um zu erfahren wie man hilfreicher umgehen und Kontakt aufnehmen kann mit schwerkranken, entmutigten Menschen.
Aber was nützt das beste Können und das eingeübteste Wissen eines Seelsorgers - solange dieser mühsam lebt unter dem Verdammungsurteil seines Herzens?
Da muss man immer wieder heraus! Aber wie?

Die Beichte und die Absolution können sehr hilfreich sein. Sie bleiben in ihrer Bedeutung unangetastet.
Doch hier wird uns eine andere Möglichkeit aufgetan: Wir hörten zunächst davon, daß zwei Stimmen in uns sind. die eine klagt an, die andere verteidigt. Aber viel wichtiger ist es, und damit ist der Apostel bei seinem Hauptanliegen - daß wir der verdammenden Stimme in uns nicht hoffnungslos ausgeliefert sind.

Da ist eine dritte Stimme, die in wirkungsvoller Weise vor Gott auf das Herz Einfluß nehmen kann.


Ich will versuchen sie durch ein Erlebnis näher an das, was hier gemeint ist, heranzuführen.

Vor 10 Tagen war ich im eigenen Wagen unterwegs nach Bonn im Streckenabschnitt vor Köln. Enge, alte Autobahn, ohne Standstreifen, starker Regen und starker Verkehr auf beiden Fahrspuren und abendliche Dunkelheit. Alle fuhren schnell und mit zu geringem Abstand.
Da flackert am Armaturenbrett ein rotes Warnsignal auf im Bereich Öldruck.

Schnell auf den nächsten Parkplatz. Motor abgestellt. Nichts Auffälliges ist auszumachen. Ich starte. Der Motor läuft normal durch. Aber das Warnsignal flackert wieder auf. Möglichst langsam rollen wir auf den nahen Rastplatz, zur Tankstelle. Der Tankwart prüft den Ölstand - alles okay. Auch sonst findet er nichts. Meint, ich könne ruhig weiterfahren.

Also heraus aus der Tankstelle, aber noch auf dem Rastplatz rumpelt es plötzlich im Wagen. Mein Beifahrer sagt: "Jetzt ist der Motor hin!"
Aber dem war nicht so, sondern der Schlauch in einem Reifen war kaputt und so gab es einen Platten. Also: Reifenwechsel. Und weiter!

Und dann die große Verwunderung. Denn das Warnsignal flackerte nicht mehr und hat sich seitdem nicht wieder gezeigt.

Nicht auszudenken was hätte geschehen können, wenn ich ungewarnt mit 120 Stundenkilometern in der Situation auf der Autobahn weitergefahren wäre!

Die Reifen sind an das Warnsystem nicht angeschlossen.

Mein Beifahrer hat das rote Licht auch genau gesehen, sonst würde ich denken können, ich hätte Halluzinationen gehabt.

Sie werden verstehen, daß ich in den folgenden Tagen dankbar und oft all den merkwürdigen Bewahrungen und wunderbaren Fügungen meines Lebens gedacht habe - bis zurück in Krieg und Gefangenschaft. Dabei wurde mir klar, daß ich bereits jahrelang über ein Hauptthema
meditiere. Genauer daß es in mir meditiert. - Meditiert über Gottes Liebe und deren Wirkungen im eigenen Leben.

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Der Apostel Johannes sagt: "Daran erkennen wir, daß wir aus der Wahrheit sind und können unser Herz vor ihm damit stillen, daß, wenn uns unser Herz verdammt, Gott größer ist als unser Herz!"

Wir werden als solche angeredet, "die aus der Wahrheit sind".

Wir gehören also zu den Menschen, denen der Heilige Geist die Augen des Glaubens dafür öffnet, daß die Liebe Gottes in Jesus Christus uns erschienen ist - uns gilt - in Zeit und in Ewigkeit. Daß wir erhört und angenommen sind.

Das ist die gute, frohe Botschaft für alle. Aber dem Apostel ist damit noch zu wenig gesagt, daß Gott uns geliebt hat. Er geht einen Schritt weiter, wenn er im selben Brief schreibt "Gott ist Liebe".

Martin Luther hat das so gelesen: "Wollte einer Gott malen, er müßte einen Abgrund von Feuer malen - einen glühenden Backofen voll lauter Liebe."

Ich war in diesem Jahr oben auf dem Ätna in Sizilien, daher liegt mir grad nah Gott mit einem Berg voll glühender Liebe zu vergleichen. Aus diesem Berg, wenn ich kurz bei diesem Bilde verweilen darf - sprühen Funken, spritzen hinein in die Welt und auch in Dein und mein Leben.

Dieses persönliche Erleben kann uns das christliche Mysterium sehr viel näher aus dem Kopf an die Haut bringen. Daß wir dessen ganz froh und gewiß werden. Wir gehören auf die Seite des Siegers. - und damit das -oft angeschlagene und angeklagte- Herz stillen.
Daß wir immer wieder seelsorgerlich mit uns selbst reden, neues Vertrauen und Zuversicht in uns aufrichten.

So können wir mit Gottes Hilfe heraus finden aus dem gefährlichen Zustand der Selbstverdammung.

Und damit verändert sich die Lage. Eine stille Freude lässt die Traurigkeit schwinden. Das Selbstverständnis normalisiert sich. Die Isolation weicht zurück. Neue Kontakte werden möglich. Der Kreislauf der Liebe zwischen Gott, uns und dem Nächsten kann wieder fließen.
Amen.

Dieser Text war 2009 etwa 31 oder 33 Jahre alt. Er war eine handschriftliche Vorkonzeption. Ganz sicher hat mein Vater sie nicht wortwörtlich abgelesen sondern vor den Zuhörern aus dem Moment heraus den Inhalt freier gestaltet. In diesem Sinne hab ich mir erlaubt an ganz wenigen Stellen kleine Formulierungsverbesserungen einzuarbeiten ohne den Sinn seiner Gedanken zu verändern.
"

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