Samstag, 24. Oktober 2009

Gunther Tietz. Wann ist irgendwann?

Liebgewordener Gunther,
„irgendwann zurück!“ steht auf deinem blauen Ordner. Ein Pappschnellhefter aus den 70er Jahren. Ein schnelles Manuskript, aber nicht von Pappe?

„Leseexemplar“
Arbeitstitel:
a u t h e n t i s c h
oder:
Was Leben ist.

Wann ist „irgendwann“? Nach 30 Jahren?
16 Jahre nach deinem irdischen Leben?
Ein Leben, das dir mehr war als ein Hobby!

„irgendwann zurück!“ – aber du gingst so schnell. Schnell voraus. Schneller als deine Worte, nein, die Schichten von Feinfühligkeiten bei mir ankommen. Denn nun erst fangen sie an in mir aufzublättern wie eine Knospe die gereift ist zum Auf-Blühen.

Beschwingt wie ein Blatt im Wind (Blütenblatt?) möchte ich dir vorlesen. Beschwingt vorlesen, wie du eurer damals verstorbenen Lehrerin in deinem Zimmer vorgelesen haben magst. Beschwingt lesend in meiner stillen Kammer. Dem Rhythmus auch lauschend meiner Herz-Kammern.

Verstorbener Lehrer? Was konnte dein Lachen meinem Herzen lehren? Dein einzigartiges lachen, das aus einem zarten Blätterteig unzähliger Feinfühligkeitsschichten besteht (ja, du lachst, lachst immer noch und dein Lachen ist eingeschrieben, mir hinter die Ohren). Von welchen Sternen kündete die sich in deinem Lachen überschwenglich verschenkende Flut klar und zugleich zart funkelnd-leuchtender Sternschnuppen, die es selbst in einem mitternachtsdunklem Gemüt mit einem mal morgensternhell werden lassen konnten?

„irgendwann zurück!“ – Nun erst sickert langsam ein lebendiger Geist dessen, was toter Schreibmaschinenbuchstabe mir damals geben sollte.

Hab ich damals überhaupt alle Buchstaben gelesen? Heute kommt mir nur einiges wiedererkannt vor. Die fliegende Mary. Und: „Biographie“.

„Für Matthias.“ So fängt dein Inseltagebuch an: „Meine Einsamkeit“.
Darum wohl gabst du es mir mit nach Hause. Ich ahne nur zart, dass ich es las.
Warum du es für mir gewidmet hattest steht im Manuskript, war aber dann doch für eine eventuelle Veröffentlichung nicht vorgesehen.

„Meine Einsamkeit“. So könnte ich meine Gegenwart betiteln. Wird sie zum „irgendwann“ auf einem „Insel“-Ort, dessen Umraumgebärde ich damals in einer Deutschklausur (Thema: Goethes Faust, 2. Teil) in einem inneren Bild empfand ?

Wie sehr hab ich mich damals über Post, über etwas schriftliches von dir gefreut! Egal ob du in Kassel oder weit weg warst.

Bist du nun beides gleichzeitig? Freust dich mit mir am Schreiben?

Die Freude am Schreiben.
1978 fing sie bei mir an. Oft zaghaft und doch auch: nicht zu stoppen. Zu bremsen schon. Gebremst etwas, als einer auftaucht, der das so viel besser kann. Aber meine Liebe zum Wort wuchs u.a. auch an den Strahlen deiner Sonne. Langsam. Olivenbaummäßig? „irgendwann“. Zu dir zurück.

Nun sitze ich, dem Himmel näher als damals, und lese und schreibe. Streich(el)t unmerklich dein Zuhören das meine? Beschwingen von innen her deine Feinfühligkeitsschichten sternschnuppenlicht-zart mein tastendes Schreiben?

„irgendwann zurück!“. Wohin zurück steht dort nicht. In die Vergangenheit zurück? In die Zukunft zurück? In welchem der Himmel schwingt deine Zukunft? H.IV (5. Himmel) da du durch HIV so früh himmels-flügge wurdest?

Jesus war kaum älter, als er sich am Kreuz seiner Zeit für die Menschen hingab.

Schmetterling des jenseits – wer verteidigt dich?

Nur wenig Kokon hat dein Geschriebenes hinterlassen. Aber: authentisch gesponnener faden. Seidenhülle eines „komplizierten Lachens“, das vieles so scheinbar einfach zu machen vermochte. Dein lachen: einmalig. Und unvergesslich. Das Titschen eines geschickt geworfenen Steines auf der Oberfläche der Wasser war darin ebenso wie die Stille des Tiefen Wassers, die kein Wässerchen trüben kann. Und: Spannung. Ein großer Spannungsbogen zwischen selbigen Gegensätzen. In kleine Lichtfunken hinein-portioniert. „Hier und Jetzt!“ Und zugleich wie aus einer anderen, insgeheim gekannten Welt, wie kleine tropische Früchte aus einer ganz anderen Zeit.

Anders als dein Lachen: aber aus einer anderen zeit kommst du mir jetzt auch entgegen.
Wie viele Leben hab ich gelebt? In den letzten 28 Jahren? Drei oder vier?

Entgegen kommst du mir jetzt durch andere Menschen. Per Internet. Zwei derer, die dich dort suchten und mehr Glück hatten, als der Mann, dem Mary ein zweites Leben geschenkt hatte.

Drei haben sich gefunden. Virtuell, noch etwas jenseits der Realität. Das Grab deines irdischen Körpers wartet wohl schon länger auf Besuch. Vielleicht treffen wir uns eines Tages zu dritt.

Und: Gedenk mal. Statt Grab mal. Für die, die im Internet nachgraben: g.t. !
Eine virtuelle Gedenk-mal-Seite. Wie man das heute so macht. Vielleicht eine Spur anders. Leider noch weiter weg vom Himmel als ein Friedhof. Oder näher dran: am Puls der Zeit, am Herz derer, die nach g.t. graben.

Schwingt mein Herz sich auf, schwingt es sich um so näher heran an die Himmel, an deine Herzschwünge?

Aus welch unirdischen Blüten nippt ein Schmetterling des jenseits köstlichen, feinsten Nektar?

„Verteidigung der Schmetterlinge“.
Schmetterlings-licht entschlüpftest du vor sechzehn Jahren dem kokon.
Wer hat dich verteidigt?

Sicherlich Christine Brückner . Sie schrieb an dich.

Nein, ich möchte nicht deinen Kokon verteidigen.
Aber wie dich, du im "irgendwann", unterwegs zum "nirgendwann"?

Schreiben? ...mit viel Raum zwischen den Zeilen. Auch Zeitraum. Jede Formulierung ein Kokon. Wer erkennt den Schmetterling, der entflatterte, wieder?

Der, der mit den Schmetterlingen tanzt?

Lachen. Leben. Tod. Und : Schreiben!
Deine großen Themen. Menschen. Und: die Liebe.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

eine humorvoll bebilderte Homage an "Desiderata"